Generative Künstliche Intelligenz: Das Ende einer Illusion

von | 15. Februar 2024 | Tech Deep Dive

Noch sind die juristischen Auseinandersetzungen bezüglich der Urheberrechte beim Training von Bild- oder Kunstgenerierenden Algorithmen nicht entschieden. Doch unabhängig vom Ausgang der Verfahren, die Entwicklung wird die Stellung der Künstler hinterfragen und neu definieren.

Vor allem aber wird sie die durch die Aufklärung geprägte Rezeption von Kunst in Frage stellen. Diese stellte bislang, möglicherweise zu Unrecht, den Künstler als Individuum in den Vordergrund.

Erleben wir gerade den Anfang vom Ende des Personenkults in der Kunst?

Maschinelle Kunst wird museal. Als das wohl bekannteste Werk des Mauritshuis in Den Haag, Johannes Vermeers „Mädchen mit dem Perlenohrring“, zusammen mit etwa einem Dutzend weiteren Gemälden des Barock-Künstlers, Anfang 2023 für drei Monate an das Rijksmuseum in Amsterdam verliehen war, füllte das Museum die prominente Vakanz mit einer Imitation. Das Besondere daran: Nicht ein Künstler hat die Interpretation des Originals geschaffen – sondern der Algorithmus „AI Midjourney“. Julian van Dieken nutzte die Künstliche Intelligenz, um seine Version, genannt „Girl with Glowing Earrings“ (siehe Abbildung 1), zu schaffen, die er anschließend noch mit Photoshop nachbearbeitete [1].

Das Mauritshuis hatte für die Zeit der Absenz seines berühmtesten Vanmeers einen Wettbewerb ausgeschrieben. Die Öffentlichkeit war aufgerufen, „ihr eigenes Mädchen“ zu kreieren, das von dem Vermeer-Gemälde inspiriert ist und an dessen Stelle hängen sollte. Eine Jury entschied dann über die insgesamt 3482 Einsendungen.

Es folgte ein öffentlicher Aufschrei. Die Künstlerin Iris Compiet empfand die Menge der eingereichten KI-Bilder als „unglaubliche Beleidigung“ [2]. Das Mauritshuis reagierte mit der Stellungnahme eines Sprechers, in der es hieß: „Wir wussten, dass [van] Diekens Werk mit künstlicher Intelligenz erstellt wurde, aber wir mochten sein Bild, und das war für uns genug.“ Und weiter: „Im Grunde war das einzige Kriterium, dass dem Werk ein kreativer Prozess zugrunde lag.“[2]

Die lapidare und wohl auch naive Rechtfertigung erboste weitere Kunstschaffende. Laut Eva Toorenent, Künstlerin und niederländische Beraterin der Organisation European Guild for Artificial Intelligence Regulation (EGAIR), hat das Museum „die Technologie nicht verstanden“. Die „uninformierte Reaktion des Museums auf die Kritik war das Enttäuschendste“, sagte Toorenent. „Ich habe in einer ausführlichen E-Mail erklärt, warum KI-generierte Kunst in ihrer derzeitigen Form höchst unethisch ist, und keinen Platz hat, um in einem Museum hervorgehoben und gefeiert zu werden.“ Als Antwort erhielt sie „eine Copy-Paste-Antwort, in der sie ihre Entscheidung noch einmal bekräftigten“.[2]

Julian van Dieken, A Girl With Glowing Earrings
Abbildung 1: Julian van Dieken, Girl with Glowing Earrings”, Mauritshuis, Den Haag.
Abbildung 2: Refik Anadol, ”Unsupervised – Machine Hallucinations-MoMA-Fluid Dreams” (Ausschnitt aus der Installation).

Zur gleichen Zeit widmete das Museum of Modern Art in New York Refik Anadol die Ausstellung „Unsupervised“. Die Installation des Künstlers „stellt Überlegungen darüber an, wovon eine Maschine träumen könnte, nachdem sie mehr als 200 Jahre Kunst in der Sammlung des MoMA gesehen hat“, heißt es dazu auf der Museums Webseite [3]. Ein Ausschnitt aus der Installation ist in Abbildung 2 zu sehen. 

Auch hier hagelte es Kritik. Beispielsweise von Jerry Saltz, einem renommierten New Yorker Kunstkritiker. Für ihn ist Unsupervised „publikumswirksame Mittelmäßigkeit“. Die Installation nutze lediglich „vorhandenes schriftliches, fotografisches und künstlerisches Material“. MoMAs Ausflug in die KI scheitert in seinen Augen „genau dort, wo andere KI-Programme versagt haben.“ Weiter meint er: „Wenn KI sinnvolle Kunst schaffen soll, muss sie ihre eigene Vision und ihr eigenes Vokabular, ihren eigenen Sinn für Raum, Farbe und Form einbringen. Dinge, die Unsupervised vermissen lässt.“ [4]

Saltz hat Recht. Letztlich handelt es sich um Kunst aus der KI-Konserve. Die generativen KI-Modelle, die vermeintlich eigenständig Kunstwerke schaffen, greifen auf Hunderte von Millionen Bilder und damit (auch) auf das künstlerische Erbe vieler Generationen zurück.

Und sie werden immer beliebter, der Markt immer größer. Neben den etablierten Diensten AI Midjourney, Supermachine, Dream Studio, Artsmart, Neuroflash, Nightcafe und vielen anderen drängten in diesem Jahr über 100 neue Anbieter auf den Markt [5]. Und auch die etablierten Softwarekonzerne reagieren auf den Trend. So hat Microsoft einen Bildgenerator in seine Suchmaschine Bing integriert [6].  

Dabei ist fraglich, ob diese Anwendungen überhaupt legal sind. Urheberrechtliche Fragen spielen jedenfalls eine entscheidende Rolle. Letztendlich werden Gerichte über die Zulässigkeit dieser Algorithmen entscheiden. Die ersten Prozesse sind bereits angestoßen.

Am 13. Januar 2023 reichten die Illustratorinnen Sarah Andersen, Kelly McKernan und Karla Ortiz im Northern District of California eine Sammelklage gegen Midjourney, DeviantArt und Stability A.I. ein. DeviantArt steht hinter dem Bildgenerator DreamUp und Stability A.I. hat den Algorithmus Stable Diffusion auf den Markt gebracht. Sie bezeichnen diese Text-zu-Bild-Plattformen als „Collage-Tools …, die die Rechte von Millionen Künstlern verletzen“ [7].

„Die Beklagten verwenden Kopien der Schulungsbilder,“ heißt es in der Klageschrift „um digitale Bilder … zu erzeugen, die ausschließlich von den Schulungsbildern abgeleitet sind und nichts Neues hinzufügen“, jedoch „den Markt für die Arbeit der Kläger … erheblich negativ beeinflussen“. Darüber monieren Anderson, McKernan und Ortiz, dass KI-Generatoren es ermöglicht haben, Kunstwerke „im Stil“ bestimmter Künstler zu generieren und damit „Aufträge von den Künstlern selbst abzuschöpfen“ [7].

Wenige Wochen später, am 2. März 2023, verklagte auch der Stockfoto-Anbieter Getty Images Stability A.I. Die Bilddatenbank wirft dem Unternehmen vor, mehr als 12 Millionen Getty-Fotos missbraucht zu haben, um sein Stable Diffusion AI-Bildgenerierungssystem zu trainieren. [8]

Im Grunde geht es bei diesen und anderen ähnlichen Prozessen zum einen um die Frage, wann Abkupfern aufhört und durch Veränderungen und neue Zusammensetzung von Werken eigenständige Kunst entsteht. Und zum anderen, ob Maschinen die gleichen Rechte haben, wie Menschen.

Letztere hat der renommierte KI-Experte und -Forscher Andrew Ng aufgeworfen. Ng war Professor an der Stanford University sowie Mitgründer und -leiter von Google Brain, bevor er zusammen mit Daphne Koller die Online-Plattform Coursera ins Leben rief. Er ist auch Gründer der KI-Unternehmen Landing AI und deeplearning.ai.

In seinem Newsletter „The Batch“ vom 8.2.2023 schieb er als Reaktion auf die Klageankündigung von Getty Images: „Als ich das letzte Mal das Getty Museum in Los Angeles, Kalifornien, besuchte, sah ich, wie angehende Künstler auf dem Boden saßen und Meisterwerke auf ihren eigenen Leinwänden kopierten. Das Kopieren der Meister ist ein akzeptierter Teil der Ausbildung zum Künstler.

Abbildung 3: Kunststudierende kopieren das Gemälde „Die Tanzstunde“ von Edgar Degas, aus „The Batch“, 8.2.2023.

Durch das Kopieren vieler Gemälde entwickeln die Schüler ihren eigenen Stil. Auch Künstler schauen sich regelmäßig andere Werke an, um sich inspirieren zu lassen. Selbst die Meister, deren Werke heute studiert werden, haben von ihren Vorgängern gelernt. Wäre es fair, wenn ein KI-System in ähnlicher Weise von Gemälden lernen würde, die von Menschen geschaffen wurden?“ [9]

Dazu veröffentlichte Ng ein Foto, das Künstler zeigt, wie sie das Gemälde „Die Tanzstunde“ von Edgar Degas kopieren. Es ist in Abbildung 3 zu sehen.

Diese Fragen werden nicht nur die Gerichte beschäftigen, sondern in naher Zukunft auch die öffentliche Diskussion und Wahrnehmung prägen. Und dabei geht es bei Weitem nicht nur um das Thema Chancengleichheit zwischen Mensch und Maschine. Die Urheberrechtsproblematik bei KI-generierten Bildern stellt die Basis unserer Rezeption von Kunst in Frage, die sich in der Aufklärung dramatisch gewandelt hat.

Bis in die frühe Neuzeit hinein war Kunst vor allem eines: anonym. Die Schöpfer früher Werke sind, ganz unabhängig von der Ausdrucksform, meist nicht überliefert. Wer hat die Höhlenzeichnungen aus der Steinzeit, siehe Abbildung 4, angefertigt? Wer hat die in Abbildung 5 gezeigte, weltberühmte „Nike von Samotrakhe“ in Stein gemeißelt? Wer hat die Bibel geschrieben?

Abbildung 4: Höhlenzeichnung aus der Altamira Höhle, Jungpaläolithikum, ca. 13000 vor Christus.

Abbildung 5: „Nike von Samotrakhe“, Vorderansicht (links), Dreiviertelansicht (Mitte) und Seitenansicht (rechts), ca. 190 v. Chr., Louvre, Paris.

Okay, werden Sie vielleicht sagen, „fair point“, was die Bibel angeht. Aber Homer hat die Illias und die Odyssee verfasst. Ja hat er. Aber als Chronist. Erste mündliche Fassungen sind vermutlich bereits in spätmykenischer Zeit entstanden. Sie wurden über Jahrhunderte durch Sänger verbreitet und wohl auch verändert. Und auch das Mittelalter kannte den Beruf des Künstlers nicht.

Möglicherweise sind die Namen dieser Künstler im Lauf der Jahrhunderte vergessen worden, könnte man einwenden. Womit sich aber unweigerlich die Frage stellt, warum sie vergessen wurden. Schließlich wissen wir fast alles über die Herrscher im römischen und vieles über die im hellenistischen und babylonischen Reich und auch im alten Ägypten. Wir kennen ihre Namen, ebenso wie die der Päpste und früherer religiöser Würdenträger. Selbst Wirtschaftsgrößen, also Kaufleute, wie auch Rechtsanwälte, Betrüger, Prostituierte und ganz normale Bürger sind uns aus sehr frühen Epochen namentlich überliefert. Nur wer die Künstler waren, wissen wir nicht.

Es mag einige Ausnahmen geben, aber Kunst war vor der Aufklärung sehr viel mehr. Der kreative Ausdruck eines Kollektivs und nicht eines Einzelnen.

Mit der Aufklärung hat sich das dramatisch geändert. Im Jahr 1641 hat René Descartes einen der einflussreichsten Sätze der Menschheitsgeschichte formulierte: „Cogito, ergo sum“ – oder auf Deutsch: „Ich denke, also bin ich“. Dieser Satz prägte die Aufklärung und den Individualismus, somit die Weltanschauung, die, jedenfalls im Westen, bis heute gilt: Es war die mit diesen fünf Worten formulierte Erkenntnis unseres Bewusstseins, die wiederum die Stellung des Einzelnen stärkte, ihm Rechte zusprach und auch die Künstler, als individuelle Schöpfer, über die vielfältigen Ausdrucksformen einer Gesellschaft, bestehend aus namenlosen Individuen, stellte. Es war der Beginn eines Personenkults, wie es ihn in der Kunst bis dato nicht gegeben hat.

Rembrandt war schon Mitte des 17. Jahrhunderts eine Art pinselnder Rockstar in Amsterdam. Und er ist es bis heute. Für seine Werke zahlen Liebhaber gerne mehr als 100 Millionen Euro. Aber wehe, wenn eines seiner Gemälde von einigen kunsthistorischen Meinungsführern abgeschrieben wird. Dann ist das gleiche Kunstwerk gerade noch ein paar hunderttausend Euro wert. Aber warum eigentlich? Das Gemälde ist ja völlig unverändert.

Im Grunde ist das der Ausdruck eines völlig übertriebenen Personenkults in der Kunst, der umso absurder wirkt, wenn man sich vor Augen führt, dass einige Bilder aus der Rembrandt-Schule in der Vergangenheit von den jeweiligen Top-Rembrandt Experten acht Zuschreibungen zu unterschiedlichen Künstlern erfahren haben – und die Urheberschaft zahlreicher Werke bis heute umstritten ist [10]. Oder wenn man sich bewusst macht, wie viele Fälschungen den Weg in bestimmte Werkverzeichnisse gefunden haben, etwa das von Heinrich Campendonk, Alexej von Jawlensky oder auch Max Ernst, um nur einige wenige zu nennen.

Für den Kunsthistoriker Bernd Lindemann, ehemals Direktor der Gemäldegalerie Berlin, spielt die Autorenschaft eines Kunstwerkes bestenfalls eine untergeordnete Rolle. „Ein Kunstwerk ist ein Kunstwerk“, sagt er, „egal, von wem es stammt. Der Name des Schöpfers hat lediglich eine merkantilistische Bedeutung“ [11].

Doch die durch den Urheberstreit hervorgebrachte Thematik reicht noch viel tiefer.

Es geht nicht nur darum, ob Kunst, ohne den Kontext des Künstlers als Individuum (wohl aber im Kontext der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse zur Zeit ihrer Entstehung), eigenständig besteht oder bestehen kann.

Es geht auch um die Frage: Wieviel Rembrandt steckt eigentlich in einem Gemälde von Rembrandt, und wieviel Monet in einem Gemälde von Monet.  

Die generativen KI-Modelle, die eigenständig Werke schaffen – lassen wir einmal dahingestellt, ob es sich dabei um Kunst handelt – schöpfen aus der Kreativität bekannter, wie auch längst vergessener Maler. Sie plagiieren deren Stile und mischen sie freimütig und hemmungslos.

Wie auch die Künstler. Raphael hat Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ in dessen Atelier studiert und gezeichnet (Abbildung 6). Rembrandt hat Raphaels Abendmahl studiert – und kopiert Abbildung 7). Eduard Manet hat Rembrandts „Anatomie des Dr. Tulp“ neu interpretiert – und ist stark von Diego Velasquez‘ Stil beeinflusst (Abbildung 8).

Abbildung 6: Raphael Sanzios Skizze der Mona Lisa, die er um 1504 in Leonardo da Vincis Werkstatt gezeichnet hat, Louvre, Paris (links). Das vermutlich von da Vinci im Lauf seines Lebens nachträglich veränderte Originalgemälde, Louvre, Paris. 

Abbildung 7: Rembrandts Skizze des Abendmahls von Raphael, The Metropolitan Museum of Art, New York (oben), Originalgemälde des italienischen Renaissance Künstlers, Dominikanerkloster St. Maria delle Grazie, Mailand, (unten).

Abbildung 8: Edouard Manets Interpretation des Rembrandt Gemäldes „Die Anatomie des Dr. Tulp“, Privatsammlung, Standort unbekannt (links), Originalgemälde von Rembrandt, Mauritshuis, Den Haag (rechts). 

Und es gäbe unzählige weitere Beispiele. Wäre Caravaggio ohne Da Vinci, Raphael und Michelangelo überhaupt denkbar? Wohl eher nicht. Und was wäre Picasso ohne Paul Cezanne, Edgar Degas, Juan Gris und Pierre Bonnard?

Ist die Kunst also tatsächlich so individuell, wie wir glauben? Sind die Werke (egal ob Kunst oder sonstige Werke) nicht auch das Produkt Dutzender, Hunderter oder Tausender anderer Werke von anderen Menschen oder Künstlern? Wie viel Individualität steckt in einem Kunstwerk – und wieviel hat der Künstler seiner kulturellen Herkunft zu verdanken? Und wo, bitte schön, ist der Unterschied zwischen einer Maschine, die sich des künstlerischen Erbes des Abendlandes oder auch der ganzen Menschheit bedient – und einem Menschen, der das Gleiche tut?

Oder anders ausgedrückt: Ist die in der Aufklärung postulierte Freiheit des Individuums und die künstlerische Selbstbestimmung am Ende nichts anderes als eine Chimäre? Ein Traum, der nie Wirklichkeit wird oder werden kann?

Die Antwort auf diese Frage muss jeder für sich selbst finden. Meine Antwort lautet: Nein.

Nein, die (künstlerische) Freiheit des Individuums ist keine Utopie. Wir Menschen sind tatsächlich in der Lage Neues zu Denken und zu Schaffen – und nicht nur in der Mottenkiste vergangener Werke zu kramen. In welch geringem Ausmaß sei einmal dahingestellt.

In jeder Stilepoche gibt es Vordenker und Künstler, die, wie beispielsweise Claude Monet, den Impressionismus geprägt haben. Aber es waren nie – oder in den seltensten Fällen – Einzelpersonen. Meist waren es Gruppen von Künstlern, die sich gegenseitig inspiriert und auch kopiert haben. Was die Innovation des Einzelnen bei der Entwicklung eines neuen Malstils weiter schmälert. Maschinen und Algorithmen sind dazu nicht in der Lage. Jedenfalls noch nicht.

Und in jeder Stilepoche gab es auch Kopisten. Künstler also, die gar keinen Wert auf Individualität legten, auf einen „eigenen Stil“. Christian Willhelm Ernst Dietrich (1712 bis 1774) etwa, der sich später in Dietricy umbenannte, beschränkte sich auf das Kopieren bekannter niederländischer Maler, darunter auch Rembrandt. Wobei er in den meisten Fällen lediglich den Stil imitierte, nicht jedoch das Motiv. Das gleiche gilt für Tom Keating. Der britische Künstler und Restaurator, wurde vor allem durch seine Edgar Degas Imitationen bekannt. Keating wird oft als Fälscher bezeichnet – allerdings hat er die von ihm stilistisch nachempfundenen Werke anderer Künstler nie als solche signiert, weswegen er nie verurteilt wurde.

Anders Han van Meegeren, dessen Werke heute ebenfalls als Kunst gelten – und dessen Bilder in zahlreichen Ausstellungen und Retrospektiven gezeigt wurden. Der holländische Fälscher (1889 – 1947) war zunächst als Maler einigermaßen erfolgreich, später wurden seine Werke als „Kitsch“ abqualifiziert und Kunstexperten unterstellten ihm, nicht zu einer eigenständigen schöpferischen Leistung fähig zu sein. Daraufhin fertigte van Meegeren zahlreiche Fälschungen niederländischer Meister an, darunter ein halbes Dutzend im Stil von Jan Vermeer. Seine Imitationen waren so gut, dass selbst renommierte Kunsthistoriker, wie beispielsweise Abraham Bredius, der damalige Leiter des Mauritshuis, darauf hereinfielen [12].

Wenn aber die Werke von Plagiatoren, Imitatoren und sogar Fälschern als Kunst gelten – warum sollten maschinell generierte Werke dann anders behandelt werden? Und was ist mit den übrigen Künstlern, die sehr wohl auf einen eigenen Stil Wert legen. Auch wenn dieser Stil ohne das frühere Schaffen von Generationen anderer Künstler undenkbar wäre. 

Im Grunde müssen die Richter in Bezug auf die KI-generierte Kunst nicht nur entscheiden, ob die Verwendung der Werke von Künstlern, Imitatoren und Fälschern in generativen Modellen gegen die Urheberrechte dieser Kunstschaffenden verstößt.

Die neue Technologie jedenfalls stellt den bisherigen gesellschaftlichen Konsens über die Leistung von Individuen und somit die normative Begründung der Rechte Einzelner an „ihren“ Werken in Frage.

Und möglicherweise müssen die Richter deshalb nicht nur über die Maschinen richten – lassen wir einmal dahingestellt, ob es sich bei deren „Output“ um Kunst handelt, oder nicht – sondern darüber, ob das Urheberrecht Angesichts der technischen Entwicklung in seiner heutigen Ausprägung noch zeitgemäß ist.


Quellenverzeichnis

[1] O.A., „Mauritshuis hangs artwork created by AI in place of loaned-out Vermeer”, NL Times, 22.2.2023, online abgerufen über https://nltimes.nl/2023/02/22/mauritshuis-hangs-artwork-created-ai-place-loaned-vermeer (8.6.2023)

[2] Taylor Michael, „Museum under Fire for Showing AI Version of Vermeer Masterpiece”, Hyperallergic, 1.3.2023, abgerufen über https://hyperallergic.com/805030/mauritshuis-museum-under-fire-for-showing-ai-version-of-vermeer-masterpiece/ (8.6.2023)

[3] Museum of Modern Art, Webseite abgerufen über https://www.moma.org/magazine/articles/821 (8.6.2023)

[4] Jerry Saltz, „MoMA’s Glorified Lava Lamp. Anadol’s Unsupervised is a crowd-pleasing, like-generating mediocricy”, Vulture, 22.2.2023, abgerufen über https://www.vulture.com/article/jerry-saltz-moma-refik-anadol-unsupervised.html (8.6.2023)

[5] Finn Hillebrandt, „Die 14 besten Bildgeneratoren in 2023 (kostenlos)“, abgerufen über https://www.blogmojo.de/ki-bildgeneratoren/ (9.6.2023)

[6] Patrick Hannemann, „Kostenloser Bildgenerator in Bing: Microsoft schenkt Ihnen KI-Tool“, Chip, 6.5.2023, abgerufen über https://www.chip.de/news/Kostenloser-Bildgenerator-in-Bing-Microsoft-schenkt-Ihnen-KI-Tool_184712934.html (9.6.2023)

[7] Min Chen, „Artists and Illustrators are Suing Three A. I. Art Generators for Scraping and ‘Collaging’ Their Work Without Consent”, Artnet News, 24.1.2023, abgerufen über https://news.artnet.com/art-world/class-action-lawsuit-ai-generators-deviantart-midjourney-stable-diffusion-2246770 (9.3.2023)

[8] Blake Brittain, “Getty Images lawsuit says Stability AI misused photos to train AI”, Reuters, 6.2.2023, abgerufen über https://www.reuters.com/legal/getty-images-lawsuit-says-stability-ai-misused-photos-train-ai-2023-02-06/ (9.3.2023)

[9] Andrew Ng, „The Batch“, Newsletter von deeplearning.ai, 8.2.2023 (Seite 2)

[10] Reuter, Wolfgang: Original oder Schüler? Einsatzmöglichkeiten Künstlicher Intelligenz bei Zuschreibungsfragen am Beispiel des Rembrandt Research Projects. In: Kunstgeschichte. Open Peer Reviewed Journal, 2023 (urn:nbn:de:bvb:355-kuge-600-4)

[11] Persönliches Gespräch mit Bernd Lindemann im Rahmen einer Veranstaltung des Kaiser Friedrich Museumsvereins am 5.6.2023 in der Gemäldegalerie Berlin.

[12] Abraham Bredius: An Unpublished Vermeer. In: The Burlington Magazine for Connoisseurs, Vol. 61, No. 355 (Oct., 1932), Burlington Magazine Publications Ltd., S. 144–145.

Autor:innen

Wolfgang Reuter

Wolfgang Reuter ist Leading Strategist und KI-Experte bei Alexander Thamm. Er studierte Umweltwissenschaften an der UEA in Norwich, UK, und ist ausgebildeter Journalist. Er war unter anderem Korrespondent für den "Spiegel" in Frankfurt und Berlin, Ressortleiter Unternehmen & Märkte beim "Handelsblatt" und stellvertretender Redakteur beim "Focus". Dann begann er sich mit Programmierung zu beschäftigen und konzentrierte sich später auf künstliche Intelligenz. Mit damals 52, wechselte er den Beruf - und arbeitet nun hauptberuflich in diesem Bereich.

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