Brownfield vs. Greenfield – Jedes Unternehmen kann Teil der Industrie 4.0 werden

von | 4. November 2020 | Grundlagen

Smart Factory, Industrial Internet of Things oder vernetzte Produktion: Viele Konzepte, die im Rahmen von Industrie 4.0 beschrieben werden, klingen oft hoch theoretisch. Theorie und Praxis lassen sich in diesem Zusammenhang auch nicht immer perfekt in Einklang bringen. Ein grundlegender Unterschied, um den es im Folgenden gehen soll, ist der zwischen sogenannten „Greenfield-Projekten“ und „Brownfield-Anlagen“.

Bei Greenfield-Projekten geht es darum, eine vollständig digitalisierte Fabrik auf einer freien, grünen Wiese zu bauen. Der Großteil der Überlegungen zum Thema Industrie 4.0 gehen hiervon aus. In der Realität überwiegt jedoch die Anzahl der Brownfield-Anlagen. Daher wünschen sich viele Unternehmen Ansätze, die stärker an der Realität ausgerichtet sind. Solche wirklichkeitsnahen Konzepte sind vor allem darum wichtig, weil die vernetzte Fertigung eine große Chance für Deutschland darstellt. Durch sie kann vermieden werden, dass die Fertigung in Billiglohnländer abwandert, und trägt damit zum Erfolg des Wirtschaftsstandorts Deutschland bei.

Der Greenfield-Ansatz in der Industrie 4.0: Das Ideal

Wenn Smart Factorys beschrieben werden, handelt es sich um die „reine Idee“ der digital transformierten und vernetzten Produktion. Alle Maschinen und Anlagen sind mit Sensoren ausgestattet, die den laufenden Betrieb überwachen, Werkgegenstände sind Smarte Objekte, die mit Chips ausgestattet sind und über ihren aktuellen Bearbeitungsstand Auskunft geben können, die Datenhaltung im Hintergrund erlaubt tiefgreifende Big-Data-Analysen, auf deren Basis Prozesse verbessert und angepasst werden.

Die in dieser Form beschriebene Smart Factory muss entsprechend als Idealzustand verstanden werden. Diese ideale Form einer vernetzten Fabrik würde dann entstehen, wenn man auf einer grünen Wiese nach allen Regeln der Kunst eine perfekte Fertigungsfabrik bauen würde. Das Problem des sogenannten Greenfield-Ansatzes ist, dass nicht jedes Unternehmen, das alle Vorteile der vernetzten Fertigung nutzen möchte, einfach von Grund auf eine neue Fabrik planen und bauen kann.

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So visualisierte der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e. V. (ZVEI) die digitalisierte industrielle Produktion.

In der Regel werden Fabriken und Fertigungsanalgen mit einer Laufzeit von mindestens 20 bis 25 Jahren gebaut, damit sich die Kosten amortisieren und Gewinne erwirtschaftet werden. Greenfield-Projekte sind daher eher die Ausnahme und die Mehrheit der Unternehmen kann die Digitalisierung einfacher im Rahmen einer Brownfield-Anlage realisieren. Dennoch besteht aktuell ein großer Handlungsbedarf, weil immer mehr Unternehmen auf Industrie 4.0 umstellen und die Konkurrenz entsprechend zunimmt.

Der Brownfield-Ansatz: Die Realität

Die Realität sieht in den meisten Fällen anders aus. Viele Fabriken und Anlagen wurden  zu einer Zeit geplant und gebaut, in der sich noch nicht abzeichnete, mit welcher Geschwindigkeit die Entwicklung der digitalen Vernetzung voranschreitet. Die Produktionsbedingungen in vielen Fabriken entsprechen daher nicht den heutigen Anforderungen.

Als „Brownfield“-Anlage wird eine Fabrik oder Fertigungsanlage beschrieben, die bereits gebaut und schon seit einiger Zeit in Betrieb ist – ein „braunes Feld“ ist also ein bereits bebautes Feld. Entsprechend handelt es sich beim Brownfield-Ansatz im Zusammenhang mit der Industrie 4.0 um die digitale Transformation einer vorhandenen Fertigungsanlage.

Der erste zentrale Schritt bei einem Brownfield-Projekt besteht in der Digitalisierung aller analogen Bestandteile und Prozesse. Um eine herkömmliche Fabrik für die vernetzte Produktion vorzubereiten, ist es beispielsweise notwendig, alle Vorgänge, bei denen die Kommunikation nach wie vor auf Papier beruhen oder „hemdsärmelig“ durchgeführt werden, konsequent zu digitalisieren.

Ebenso wie das „papierlose Büro“ auf der Eliminierung von Papier beruhte, hat dieses analoge Medium auch in der Smart Factory keine Bedeutung mehr. Der zweite, entscheidende Schritt auf dem Weg zur vernetzten Produktion ist die digitale Vernetzung von Maschinen, Menschen und Materialien zum Beispiel mit Hilfe von Sensoren oder RFID-Chips. Hier gibt es kein Patentrezept, gerade weil jedes Unternehmen einen unterschiedlichen Digitalisierungsgrad erreicht hat. Es müssen also für jedes Unternehmen in jeder Branche ganz spezifisch Lösungen erarbeitet werden.

Die wichtigsten Herausforderungen bei der Digitalisierung

Bei der Digitalisierung von bereits bestehenden Prozessen, also beim Brownfield-Ansatz, ist vor allem darauf zu achten, dass sie vollständig und mit viel Sorgfalt übertragen werden. Fehler bei der Übertragung von der analogen in die digitale Welt können zu weitreichenden Konsequenzen führen. Mangelnde Datenqualität ist eine der häufigsten Fehlerquellen bei Data-Science-Projekten.

Das Problem ist: Alle Lücken oder Fehler im Prozesswissen werden bei der Verknüpfung mit IT-Prozessen übernommen. Experten schätzen, dass bis zu 40 Prozent der Daten im IoT-Umfeld ungenau, schlecht oder fehlerhaft und damit nutzlos sein könnten. (Quelle: Computerwoche) Eine typische Fehlerquelle sind doppelt erfasste Datensätze oder anders formatierte Daten, die etwa auf alten industriellen Reporting-Systemen basieren. Auch bei der Anbringung von Messsensoren muss sehr genau darauf geachtet werden, dass die Messwerte korrekt sind und nicht durch äußere Einflüsse verfälscht werden. Wenn Sie mehr darüber erfahren wollen, wie Sie zu einer optimalen Datenqualität gelangen, haben wir die 5 wichtigsten Tipps dafür zusammengestellt.

Viele Unternehmen wagen sich auch deswegen nur sehr zögerlich an das Thema Industrie 4.0 heran, weil es wie eine Herkulesaufgabe anmutet, von jetzt auf gleich die gesamte Produktion digital zu vernetzen. Dabei genügt es für den Anfang einen einzelnen Use Case zu finden und diesen erfolgreich umzusetzen. Unserer Erfahrung nach sind die Ergebnisse so überzeugend, dass auch die Belegschaft beim nächsten Projekt schneller und aktiver mit dabei ist. So kann die digitale Transformation Schritt für Schritt erfolgen. Vollständige Systemarchitekturen lassen sich ohnehin nur schwer parallel zur laufenden Produktion aufsetzen.

Besonders ältere Anlagen können profitieren

Von der Digitalisierung und einer Umstellung auf einen datenbasierten Ansatz können insbesondere ältere Maschinen beziehungsweise industrielle Anlagen einer Brownfield-Anlage profitieren. Denn gerade sie sind sehr viel wartungsanfälliger als neue Anlagen. Je öfter Maschinen gewartet werden müssen, umso länger sind auch die Ausfallzeiträume. Selbst wenn nur einzelne Anlagen stillstehen, weil etwa auf spezielle Ersatzteile gewartet werden muss, kann im schlimmsten Fall die gesamte Produktion zum Erliegen kommen. Die Folge sind zum Teil enorme wirtschaftliche Verluste. Angesichts dieser Situation bietet sich Predictive Maintenance als Lösungsansatz an.

Bei der sogenannten „vorausschauende Wartung“ wird eine Maschine oder Produktionsanlage mit zahlreichen Sensoren ausgestattet, um ihren Betrieb zu überwachen. Bis auf Bauteilebene kann so mit einer hohen Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden, wie lange eine Maschine ohne Probleme funktionieren wird. Aus den Messdaten kann auch der Zeitpunkt abgeleitet werden, wann ein Bauteil ersetzt werden muss. Ein Austausch kann stattfinden, noch bevor es zu einem Ausfall kommt. Bei der präventiven Wartung können auch weitere digitale Technologien wie VR- oder AR-Brillen zum Einsatz kommen.

Jedes Unternehmen, jede Fabrik und jede Anlage kann und muss digitalisiert werden

Die Unterscheidung in Greenfield- und Brownfield-Analgen zeigt eines deutlich: Jedes Unternehmen, jede Fabrik und jeder Prozess kann digitalisiert werden. Da viele Unternehmen in Deutschland bei der Entwicklung im Bereich Industrie 4.0 noch Aufholbedarf haben, ist dieser Ansatz besonders vielversprechend. Dabei ist eine Voraussetzung entscheidend: Zunächst müssen alle Prozesse in einem Unternehmen digitalisiert werden. Erst dann kann die eigentliche digitale Transformation stattfinden, indem Fertigung, Zulieferung, Wartung, Produktion, Auslieferung und Kundenservice in Echtzeit über das Internet miteinander verknüpft sind.

Diese digitale Vernetzung des Fertigungsprozesses ist der Kerngedanke von Industrie 4.0 und ein vielversprechendes Konzept, das Unternehmen in Deutschland wettbewerbs- und zukunftsfähig machen kann.

Autor:innen

Michaela Tiedemann

Michaela Tiedemann ist seit den jungen Startup Tagen der Alexander Thamm GmbH mit im Team. Sie hat die Entwicklung vom schnelllebigen, spontanen Startup hin zum erfolgreichen Unternehmen aktiv mitgestaltet. Mit der Gründung einer eigenen Familie begann für Michaela Tiedemann dann parallel dazu ein ganz neues Kapitel. Den Job an den Nagel zu hängen, kam für die frisch gebackene Mutter aber nicht in Frage. Stattdessen entwickelte sie eine Strategie, wie sie ihre Stelle als Chief Marketing Officer mit ihrer Rolle als Mutter in Einklang bringen kann.

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